Oft haben aufstrebende Manager, aber auch diejenigen in Amt und Würden, eine hohe Affinität zu Zahlen. Sie können hervorragend mit Zahlen umgehen, sie orientieren sich an Zahlen und geben allem, was in Zahlen gemessen und ausgedrückt werden kann, eine hohe Bedeutung. Viele dieser Manager sind überzeugt: Emotionen und Beziehungen gehören nicht an den Arbeitsplatz – Dafür wird der weibliche Führungsstil schließlich immer kritisiert!
Die Autorin Angelika Leder ist anderer Meinung. In Ihrem Buch „Wie Zahlenmenschen ticken“ beschreibt Sie die Stärken und Potentiale von Analytikern, aber führt auch deren Schwächen auf und erklärt, warum wir unsere Kompetenzen erweitern und Beziehungsmanagement mehr Aufmerksamkeit schenken sollten.
Ich finde Zahlenmenschen nicht schlimm sondern hochinteressant, denn sie haben enorme Fähigkeiten ihre Unternehmen voran zu bringen. Sie geben Richtung und Ziele vor, sie arbeiten erfolgs- und ergebnisorientiert daran und können die Ziele auch tatsächlich erreichen. Das tun sie sehr häufig und deshalb hat man ihnen auch oft sehr viel zu verdanken. Gleichzeitig können Sie aber auch polarisieren, andere vor den Kopf stoßen oder Inkompetenzgefühle bei anderen hervorrufen. Sie können zu fordernd, zu schnell oder unverständlich bleiben oder zu uninteressiert an den Meinungen und Emotionen von anderen sein, zu wenig Menschen einbeziehen und sich so sehr isolieren, dass die anderen auf Distanz zu ihnen gehen oder einfach nicht mehr mitmachen. Dann sind die Erfolge, die sie zu erreichen gewöhnt sind auf einmal gefährdet.
Weibliche Führungskräfte werden oft dafür kritisiert zu emotional zu sein und deswegen keine harten Entscheidungen treffen zu können – Warum meinen Sie, müssten Führungskräfte sich trotzdem gerade für Emotionen und Beziehungsmanagement öffnen?
Weil es gar nicht anders geht, als Beziehungen und Emotionen zu berücksichtigen. Ich weiß, dass dies für manche Zahlenmenschen als verzichtbarer Umweg erscheint, denn sie nehmen gern den geraden Weg auf den Gipfel. Es wird aber immer wieder passieren, dass da ein Felsblock im Weg liegt, der das Weitergehen versperrt. Der schnellste Weg ist nicht der direkte, sondern der, der am besten an das Gelände angepasste.
Wenn Sie andere überzeugen wollen, dann geht das eben nur, indem Sie sich bemühen, andere auch emotional zu erreichen. Das kann nur, wer sich die Mühe macht, andere Menschen verstehen zu wollen, indem er sich für sie interessiert. Wer das tut, geht schon Beziehungen ein und bringt Emotionen ins Spiel. Wer interessiert ist, geht wertschätzend mit dem anderen um, der andere fühlt sich wahrgenommen und beachtet.
Das ist die Grundlage, andere zu überzeugen. Umgekehrt: Wer kein Interesse für die anderen aufbringt, erzeugt auch Emotionen: Ärger, Niedergeschlagenheit und Ablehnung. Sachlichkeit und Ergebnisorientierung kombiniert mit Desinteresse erzeugt Demotivation oder Widerstand, das Gegenteil von Engagement. Und das zieht Misserfolg nach sich.
Und was die Kritik an Frauen betrifft: “Zu emotional“ zu sein: Das hat ja nun nichts damit zu tun, mit Emotionen gut umgehen zu können. „Zu emotional“ legt stattdessen nahe, Frauen würden permanent ihre Emotionen ausleben und seien so sehr von Mitgefühl geprägt, dass sie nicht professionell agieren könnten.
Das ist ein männlich geprägtes Klischee. Genau so könnte man sagen, Männer seien zu emotional, weil sie übertrieben kämpferisch und ungeduldig sind. Aber solche Zuschreibungen bringen uns nicht weiter. Viele Frauen erreichen ihre Ziele anders als Männer, nämlich diskursorientierter. Aber es gibt auch viele Frauen, die stehen ihren zahlen- und ergebnisorientierten männlichen Kollegen in nichts nach.
Zahlenverständnis, analytisch und logisch denken können, dabei trotzdem die Mitarbeiter im Auge behalten und Empathie zeigen. Klingt nach dem absoluten Traumchef!
Ist das nicht ein bisschen unrealistisch und zu viel verlangt?
Nein, überhaupt nicht. Empathie und Beziehungsorientierung lassen sich erlernen. Zahlenorientierte Managern und Mangerinnen können sich da entwickeln und das habe ich sehr oft erlebt. Zahlenmenschen sind keine Beziehungslegastheniker, auch wenn sie so erscheinen oder sich so verhalten. Wie alle anderen Menschen sind auch zahlenorientierte Senior- und Topmanager komplexe Persönlichkeiten, sie haben unterschiedliche Seiten, Kompetenzen und Antriebe.
Keiner ist, was er tut. Zahlenmenschen können sich sogar sehr erfolgreich verändern, wenn sie für sich reflektiert und angenommen haben, dass der Umgang mit Emotionen und Beziehungen erfolgsrelevant ist. Auch wenn jemand über lange Zeit damit Erfolg hat, nur ziel- und ergebnisorientiert zu führen und Beziehungen und Emotionen nicht zu beachten, kann ihm das ganz plötzlich auf die Füße fallen, oft dann, wenn er es am wenigsten erwartet.
Kann jeder Manager ein solcher Allrounder werden?
Ja, mehr oder weniger, jeder kann sich entwickeln und verändern, wie sehr, ist natürlich unterschiedlich.
Was ist schwieriger: Vom Zahlen- zum Beziehungsmanager oder umgekehrt?
Eine tolle und interessante Frage. Menschen, die sich als Zahlenmenschen bezeichnen haben gern mit Zahlen zu tun, können hervorragend mit Zahlen umgehen, orientieren sich an Zahlen und sie drücken sich mehr und häufiger mit Bezug auf Zahlen aus als andere das tun, auch da, wo andere es nicht tun würden. Eine solche Begabung lässt sich nicht so erlernen, wie die Beziehungsorientierung sich von Zahlenmenschen erlernen lässt.
Sie haben sich als Coach seit Jahren auf die Zusammenarbeit mit Zahlenmenschen spezialisiert. Was sagt Ihre Erfahrung: Stimmt das Klischee, dass vor allem Männer Zahlenmenschen seien und Frauen ihre Stärken auf der Beziehungsebene haben?
Auch das ist natürlich eine sehr interessante Frage. Ich will es mal so sagen: Wer zu mir ins Coaching kommt, sieht sich als Zahlenmensch und möchte für sich mehr Beziehungskompetenz erwerben. Ich arbeite viel mit Frauen im höheren Management. Es gibt viele Frauen, die in Zahlen-, Ziel-, Erfolgs- und Ergebnisorientierung ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen und auch als zu fordernd, zu schnell und zu hart gelten. Aber dennoch haben viele Frauen auch eine andere Sozialisation und sind diskursorientierter. Ich denke, dass es mehr Zahlenmenschen unter den Frauen gibt, die zugleich auch Beziehungsorientierung haben, als bei den Männern.