„Sie“ schafft Distanz, „Du“ hingegen Nähe
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen, über das sich jedoch nur die wenigsten aktiv Gedanken machen:
Indem wir eine Person im Gespräch siezen, schaffen wir automatisch eine höfliche, aber dennoch unmissverständliche Distanz. Das übermittelte Signal: Wir beide haben kein vertrauensvolles Verhältnis zueinander und daran soll sich auch erst einmal nichts ändern.
Ein „Du“ hingegen reißt jede emotionale Entfernung zwischen zwei Menschen augenblicklich ein und erzeugt ein Gefühl von (persönlicher) Verbundenheit. Wer sich im Gespräch duzt, der erzeugt eine vertraute Atmosphäre und sorgt damit (hin und wieder auch ungewollt) für ein viel angenehmeres Miteinander. Nicht wenige Menschen geben mittlerweile ehrlich zu, dass sie viel lieber geduzt werden, weil es dem Gespräch eine „persönlichere Note“ verleiht.
Duzen liegt im Trend
Während das ungefragte Duzen noch vor nicht allzu langer Zeit als Respektlosigkeit und Knigge-No-Go galt, liegt es mittlerweile total im Trend. Manche Menschen gehen sogar so weit, dass die höfliche Anrede mit „Sie“ in den kommenden Jahren immer mehr verdrängt und irgendwann vollständig verschwinden wird.
Die Gründe für die Entwicklung hin zum „Du“ sind vielfältig und durchaus nachvollziehbar:
- eine einheitliche Ansprache vermeidet unangenehme Situationen und Unsicherheiten
- wer kategorisch duzt, behandelt jeden Menschen gleich und stellt niemanden auf eine höhere Stufe
- das „Du“ passt zur allgemeinen Entwicklung der Unternehmenswelt (siehe: Startups mit flachen Hierarchien, etc.)
- allgemein spielen Hierarchien und Standeszugehörigkeit in der heutigen Gesellschaft kaum noch eine Rolle
- die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben verschwimmen zunehmend
- der zwischenmenschliche Umgang mit Kollegen, Vorgesetzten und Geschäftspartnern wird immer persönlicher, freundschaftlicher und vertrauter
Wann ist das „Du“ als Anrede angebracht?
Wenn wir eine Person bereits kennen, vielleicht sogar eine familiäre oder freundschaftliche Beziehung zu ihr pflegen, dann müssen wir keine Sekunde lang über die richtige Anrede nachdenken: Wir duzen sie instinktiv, weil alles andere affektiert und überhaupt nicht mehr zeitgemäß wäre.
Doch wie verhält es sich im beruflichen Umfeld, wenn wir mit einer Person nicht vertraut sind?
Hier kommt es häufig auf die Gesamtsituation an, in der Sie sich befinden. Auf lockeren Networking-Veranstaltungen, in Teams mit flachen Hierarchien und bei Treffen mit (etwa) gleichaltrigen Gesprächspartnern ist das „Du“ durchaus legitim. Das Risiko, sich hiermit unbeliebt zu machen, dürfte überschaubar sein.
Wann ist das „Sie“ als Anrede angebracht?
Auch wenn das „Sie“ fast schon als Auslaufmodell bezeichnet werden kann, ist die höfliche Anrede doch noch hin und wieder durchaus angebracht. Immer dann, wenn Sie es beispielsweise mit einer älteren und/oder ranghöheren Person zu tun haben, gebietet es der allgemeine Anstand, zu siezen.
Darüber hinaus gibt es immer gewisse Veranstaltungen und Situationen, in denen Sie mithilfe der Sprache eine gewisse Distanz zu Ihren Gesprächspartnern schaffen sollten. Beispiele hierfür sind:
- Gehaltsverhandlungen
- Investitionsgespräche
- Podiumsdiskussionen
- Bewerbungsgespräche
Grundsätzlich gilt: Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob ein „Du“ oder „Sie“ angebracht ist, sollten Sie vorsichtshalber erst einmal die höfliche Anrede wählen. Ihr Gegenüber kann die Situation dann immer noch mit einem freundlichen Lächeln auflockern und das „Du“ anbieten.
Hören Sie auf Ihren Instinkt
Obwohl wir nie zu 100 % wissen können, ob es eher angebracht ist, unseren Gesprächspartner zu duzen oder siezen, ist die Quote der Fehltritte doch erstaunlich gering. Grund hierfür ist unser Instinkt beziehungsweise unser gesunder Menschenverstand, der uns in den meisten Fällen unterbewusst signalisiert, welche Variante die richtige ist.
Wenn Sie also demnächst wieder einmal in eine Situation geraten, in der Sie nicht wissen, welche Anrede angebracht ist, dann hören Sie einfach kurz in sich hinein. Ganz oft wird Ihnen Ihr Instinkt sagen, ob Sie Ihr Gegenüber lieber siezen oder duzen sollten.
Hierbei spielt nicht nur das Umfeld, in dem Sie sich befinden, eine Rolle, sondern auch die „Chemie“ zwischen Ihnen und der anderen Person.
10 interessante Fakten rund ums Duzen und Siezen
#1 Laut Knigge hat jede volljährige Person ein Recht darauf, gesiezt zu werden
#2 In immer mehr Unternehmen gehört das „Du“ zur Firmenkultur und wird rigoros durchgesetzt
#3 Wenn sich ein Mann und eine Frau unterhalten, hat die Frau das Vorrecht, das „Du“ anzubieten
#4 Besteht zwischen zwei Gesprächspartnern ein (bemerkbarer) Altersunterschied, darf der Ältere als erstes das „Du“ anbieten
#5 Im beruflichen Kontext bestimmt IMMER der Rang darüber, wer als erstes zum „Du“ wechseln darf
#6 Wer sich einmal duzt, darf laut allgemeiner Verhaltensregeln nicht wieder zum „Sie“ wechseln
#7 Das „einseitige Du“ (beispielsweise der Vorgesetzte duzt seinen Auszubildenden, will aber selbst gesiezt werden) gilt als extrem unhöflich und überholt
#8 Frauen legen mehr Wert auf eine höfliche Anrede als Männer
#9 Das „Sie“ im Büro wird von immer mehr Deutschen als zu steif und nicht mehr zeitgemäß empfunden
#10 Konflikte, die unter sich duzenden Menschen stattfinden, enden häufig unterhalb der Gürtellinie
Leider gibt es kein Regelwerk, das uns verrät, in welcher Standard-Situation wir uns wie verhalten müssen. Letztlich muss die Frage „Duzen oder Siezen?“ immer individuell und manchmal auch aus dem Bauch heraus entschieden werden. Doch haben Sie keine Angst davor. Im Laufe der Zeit werden Sie garantiert eine gewisse Routine entwickeln und den Fettnäpfchen souverän ausweichen.