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5 Fragen an: Hans-Georg Willmann

Der Freiburger Diplom-Psychologe ist Experte für Karrierefragen. Als Coach berät er Mitarbeiter und Führungskräfte im ganzen Land. Firmen unterstützt er in Fragen der Personalauswahl und der Personalfreisetzung, um Trennungen fair zu gestalten. Er war als Personalauswahlreferent u.a. für den Deutschen Entwicklungsdienst (GIZ), als Trainer in der Personalentwicklung und als Outplacement-Berater im Auftrag namhafter Beratungsfirmen tätig. 2003 gründete er seine eigene Firma für Personalberatung und Coaching: www.willenskraft.de. Er ist Autor zahlreicher Erfolgsratgeber. In seinem neuen Buch „Erfolg durch Willenskraft“ (GABAL Verlag) verrät er, wie man mehr von dem erreicht, was man sich vornimmt.

1. Welche Anzeichen im Job zeigen, dass es Zeit für einen beruflichen Neustart ist?

Ein typisches Merkmal ist eine anhaltende Unzufriedenheit mit der Arbeit. Wer über längere Zeit morgens nur widerwillig zur Arbeit geht sollte sich fragen, welche Auswirkungen das auf seine Gesundheit und auf sein Privatleben hat und sich überlegen, was ihn unzufrieden macht. Ist es eineUnterforderung und beruflicher Stillstand oder eher eine Überforderung und Stress der Sie unzufrieden macht? Ist es eine permanente Arbeitsplatzunsicherheit, vielleicht sogar eine drohende Arbeitslosigkeit, die Sie belastet? Sind es die Menschen im Job oder generell die Arbeitsinhalte, mit denen Sie nur wenig anfangen können? Ein ernstzunehmendes Vorzeichen dafür, dass die Zeit für einen beruflichen Neustart gekommen ist: Sie ertappen sich dabei, wie Sie unaufhörlich über Ihre Arbeit klagen. Dafür ist das Leben zu kurz. Ich berate meine Kunden nach dem Motto: „Nicht klagen sondern fragen.“ Fragen Sie sich, welche Talente und Fähigkeiten Sie einsetzen und welche Leidenschaften und Bedürfnisse Sie im Job erfüllen wollen. Und dann überlegen Sie, wie Ihr beruflicher Neustart aussehen muss, um all das, was Sie wollen, zu realisieren. Reicht es aus, den Arbeitgeber zu wechseln oder ist es notwendig einen neuen Beruf zu erlernen? Bringt Sie ein Quereinstieg weiter oder ist es vielleicht sinnvoll, sich selbstständig zu machen?

2. Ist es für erfahrene Arbeitnehmer ab einem gewissen Alter zu spät für einen beruflichen Neustart?

Zu spät ist relativ. Einen Arbeitgeberwechsel oder einen Quereinstieg können Sie auch mit „50 plus“ erfolgreich realisieren. Anders ist das mit einem Berufswechsel oder einer Selbstständigkeit. Die meisten von uns sichern sich durch die Erwerbsarbeit ihre Existenz und ab einem gewissen Alter rechnet sich ein Berufswechsel oder der Aufbau einer Selbstständigkeit einfach nicht mehr, wenn man davon leben muss. Abgesehen davon sollte man realistisch prüfen, welche Aussichten mit dem neuen Berufsbild im „fortgeschrittenen“ Alter auf dem Arbeitsmarkt verbunden sind. Ein 46-jähriger Naturwissenschaftler, der sich in einem 18-monatigen Referendariat zum Lehrer für berufliche Gymnasien ausbilden lässt, hat gute Berufsaussichten und eine sichere Zukunft vor Augen – selbst wenn er erst mit 48 Jahren im Berufsbild des Lehrers anfängt zu arbeiten. Ein 46-jähriger Kaufmann, der noch einmal Informatik studiert und mit 49 oder 50 Jahren als „frischer“ Informatiker auf Jobsuche geht, hat ein Problem. Arbeitsmarktrealität hin oder her, der Erfolg eines beruflichen Neustarts steht und fällt mit der Bereitschaft und der Fähigkeit des einzelnen, den Preis für die berufliche Veränderung zu bezahlen. Alles hat einen Preis. Wer stets mehr will als er bereit und fähig ist einzusetzen, wird sein Ziel nicht erreichen – und auch nie zufrieden werden. Unabhängig vom Alter. Ein beruflicher Neustart findet immer zwischen Wunsch und Wirklichkeit statt. Davon zu träumen beruflich neu zu starten ist der Anfang. Dann heißt es allerdings „aufwachen“ und sich an die Umsetzung machen. Dafür braucht es Willenskraft, um sein Ziel zu erreichen.

3. Welche Möglichkeiten zur Neuorientierung haben junge Arbeitnehmer, die kurz nach dem Berufseinstieg merken, dass sie wohl doch nicht das Richtige studiert haben?

Erst mal Durchatmen. Berufseinsteiger, die im ersten Job bereits nach kurzer Zeit glauben zu merken, dass sie sich auf dem Spielfeld geirrt haben, sollten zunächst prüfen, ob es sich um eine natürliche Abwehrreaktion im Umstellungsprozess von der Ausbildung (Studium) zur Arbeit handelt. Im Job ist nicht nur vieles sondern fast alles anders, als in der Ausbildung. Auszubildende (Studierende) genießen „Welpenschutz“. Sie stehen nicht in der (vollen) Verantwortung. Im „richtigen“ Job haben Sie einen Chef, der sein Führungshandwerk mehr oder weniger gut versteht. Es gibt Kollegen, mit denen Sie sich mehr oder weniger gut verstehen. Es gibt Aufgaben, die mehr oder weniger viel mit Ihrer Ausbildung zu tun haben. Und Sie sind dafür verantwortlich, effektiv und effizient zu arbeiten. Sich hier zu orientieren und herauszufinden, welche Ihrer Talente, Fähigkeiten und Eigenschaften Sie tatsächlich gut einbringen können und welche Entwicklungsmöglichkeiten Sie haben, dauert ein bisschen. Da ist es wenig sinnvoll, eine mehrjährige Ausbildung – die Sie ja aus irgendeinem Grund absolviert und sogar abgeschlossen haben – auf den ersten Metern der Berufstätigkeit so sehr in Frage zu stellen, dass Sie gleich alles hinschmeißen. Wenn Sie das Gefühl des Irrtums jedoch auch nach Monaten nicht loslässt, heißt es: handeln! Gehen Sie dabei systematisch und Schritt für Schritt vor:

1) Finden Sie heraus, welche Talente und Fähigkeiten, welche Interessen und Neigungen und welche Eigenschaften und Bedürfnisse Sie auszeichnen. Nutzen Sie dazu einschlägige Literatur, Online-Tests und das Gespräch mit den Menschen, die Sie kennen.

2) Recherchieren Sie Berufs- und Arbeitsfelder, in denen Sie das, was Sie auszeichnet einsetzten können und in denen Sie das, was Sie erreichen wollen auch erreichen können. Nutzen Sie dazu die Informationsdatenbank der Agentur für Arbeit und wiederum die einschlägige Literatur und Gespräche mit Menschen, die in den Bereichen arbeiten, die Sie sich vorstellen können.

3) Absolvieren sie kurze Hospitationen oder Praktika in den Bereichen, die Sie sich als zukünftiges Berufsfeld vorstellen können. Das ist allemal besser, als sich für etwas Neues zu entscheiden und nach wenigen Monaten festzustellen, dass es doch wieder nicht passt. Mit diesen drei Schritten können Sie eine fundierte Entscheidung für einen beruflichen Neustart treffen. Wer sich in diesem Orientierungsprozess unsicher fühlt, kann sich von einem Coach oder Karriereberater begleiten lassen.

4. Das Unternehmen und die Kollegen sind toll, die Aufgaben jedoch langweilig und unterfordernd. Wie lösen Arbeitnehmer dieses Problem ohne einen Neustart?

Wenn Sie mehr drauf haben, als im Job abgerufen wird, sollten Sie mit Ihrem Chef sprechen. Im Chef-Gespräch können Sie klären, ob und wenn ja welche abteilungs- oder unternehmensinterne Möglichkeiten existieren, um Ihre Arbeit aufzupeppen. Gibt es keine Möglichkeiten, können Sie über eine berufsbegleitende Weiterbildung nachdenken, in der Sie einerseits mehr gefordert werden und die Ihnen andererseits neue berufliche Perspektiven eröffnet. Sie können sich auch nebenberuflich für etwas engagieren, das Ihnen am Herzen liegt, und bei dem Sie mit Ihren Talenten und Fähigkeiten mehr oder anders gefordert werden. Das kann ein neues Hobby sein, ein soziales Engagement oder auch die eigene Familie. Unterfordern Sie sich nicht zu lange. Ein Rennpferd, das nur noch im Stall steht verkümmert.

5. Und wenn das Gegenteil der Fall ist: Wie lösen Arbeitnehmer das Problem eines permanent hohen Stresslevels?

Zunächst ist es sinnvoll, einen Realitätscheck durchzuführen. Die Frage lautet: Welche Auslöser sind für meinen permanent hohen Stresslevel verantwortlich? Wurde vielleicht gerade ein neues EDV-Programm eingeführt und Sie beherrschen die Software noch nicht so gut? Arbeiten Sie eigentlich Teilzeit, haben jedoch die Aufgabenfülle einer Vollzeitkraft? Funktioniert die Kommunikation im Team nicht reibungsfrei? Oder haben Sie privat gerade so viel Belastung, dass Sie sich in der Arbeit gar nicht konzentrieren können? All das und noch viele mögliche Auslöser mehr können für einen permanent hohen Stresslevel verantwortlich sein. Auch hier hilft ein Chef-Gespräch weiter. Der Chef hat immerhin eine Fürsorgepflicht und sollte überdies auch ein Interesse daran haben, dass es seinen Mitarbeitern gut geht. Er ist dafür verantwortlich die Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Sie gute Leistungen erbringen können und gesund bleiben. Viele Mitarbeiter arbeiten aber auch nach dem Muster „sei stark, sei perfekt, sei beliebt“ und setzen sich damit selbst unter massiven Druck. Hier kann ein Stressbewältigungstraining helfen, neue Bewertungsmuster zu erlernen, um besser mit den Stressauslösern umgehen zu können. Bei Ihrer Krankenkasse erhalten Sie einen Überblick über anerkannte Stresspräventionskurse. Sie können auch bei den Stressreaktionen ansetzen. Wenn Sie durch die Belastungen im Job zum Beispiel sehr angespannt und körperlich verspannt sind, können Sie mit Sport, Massagen und Entspannungsübungen für mehr Wohlbefinden sorgen. Ein permanent hoher Stresslevel macht krank. Achten Sie darauf, dass Sie im Job nicht heiß laufen.